Große Stadt, kleine Kreise
Ich stehe am Roten Teppich und stiere über die Absperrung Richtung Berlinale-Palast. Keiner da. Nur eine Kehrmaschine dreht emsig ihre Runden über dem bedeutsamen roten Stoff.
Da hatte ich extra das bodenlange lila Kleid eingepackt. Das hängt jetzt im Apartment auf einem Bügel und sein langer Saum wirft traurig Falten auf dem Boden. Meine bessere Hälfte tippt mir auf die Schulter: „Lass uns Häppchen suchen gehen.“, sagt er.
„Presse, Presse, Presse!“, quietscht die Frau am Tresen des Arte-Empfangs jeweils eine Oktave höher und lässt uns durch.
Wir stehen eine Weile herum, trinken Wein und starren eine seltsame Frau an, eine Mischung aus Transe und Geisha, die mich bis in meine Träume verfolgt.
Der nächste Tag ist sonnig. Berlin gibt sich frühlingshaft. Wir drehen George Clooney bei Madame Tussauds. Für die Kamera halte ich Händchen mit dem dreidimensionalen Pappkameraden. Er ist verblüffend lebensecht. Die typischen grau melierten Haare sind einzeln auf den Wachskopf geklebt. Perfektion bis in die Poren. Das charmante Lächeln in endloser Pose. Erstarrt und leblos. In seinem Ohr hat George ein paar Flusen, vielleicht auch Sägespäne.
Dann Networking-Lunch: Kellnerinnen auf Rollschuhen sausen um uns herum. Weiter zum Generation-Empfang, dort treffen wir Bekannte aus Kassel. Mit denen weiter zur Young-Filmmakers-Party. Große Stadt, kleine Kreise. Endlose Lagerhallen, aus jeder andere Musik, endlich die gesuchte Location. Meine Füße sind platt. Die Berlinale erinnert mich in weiten Teilen an einen Tolkien-Roman: Laufen, Essen, Laufen, Laufen, Laufen und Schlafen.
Ich wache auf, weil die anderen im Apartment Krach machen. Müde warte vor unser Zimmertür, bis das Bad frei wird. Mein Blick fällt auf das lila Kleid. Wie bestellt und vergessen.
Auf dem Weg zur U-Bahn kaufe ich Gel-Einlagen für die Schuhe, dann wieder laufen, laufen und in gelben Zügen durch Berlins endlose U-Bahn-Tunnel fahren. Empfang der Hessischen Landesvertretung. Großes Gedrängel im Eingangsbereich. Der Türsteher gibt auf und winkt alle durch. Freunde aus Berlin sind dabei. „Und was genau soll das hier?“, fragt Maria und dreht den Kopf durch den Raum. „Was tun alle die Leute hier?“
Später interviewen wir den Cobra 11 Schauspieler Erdogan Atalay. Auf dem Tisch liegen schon die Fragen an Christel Schmidt von der Hessischen Filmförderung, die nach ihm Rede und Antwort stehen wird. Interessiert nimmt Atalay die Fragen und liest sie vor.
„Ich bin da nämlich gerade voll drin, mit Filmförderungen und Sponsoren finden.“, erklärt er. „Ich habe ja ein Drehbuch geschrieben.“ Mein Herz macht da spontan einen gewaltigen Sympathie-Hüpfer. Dieser gestandene Schauspieler – seit immerhin 18 Jahren macht er Cobra 11 – ist genau am gleichen Punkt wie ich gerade.
Später sind wir noch kurz beim Empfang des DIF, aber es ist voll und laut, also laufen wir weiter zum Empfang der Filmhochschulen. Wir finden einen Sitzplatz auf der grünen Bühne. Neben uns hüpft ein dickes Mädchen euphorisch auf und ab. „Es gibt Kölsch!“, trällert sie. „Köööölsch!“ Als ich später auf Toilette gehe sehe ich sie wieder. „Es gibt Kölsch!“, erzählt sie dem Nächsten. „Kööölsch!“ Angesteckt von so viel Begeisterung trinken Maria, meine bessere Hälfte und ich ein, zwei Kölsch über den Durst. Lachend rennen wir durch die Dunkelheit zurück zum Potsdamer Platz und erschrecken einen Fuchs.
Die Sonne scheint durch die großen Altbau-Fenster und weckt mich auf. Ich widerstehe dem Versuch, das Kleid nur aus Trotz anzuziehen und schlüpfe in meine Turnschuhe. Ein abgehackter Bärenkopf vor gelben Hintergrund schaut von den Plakaten am Babylon-Theater. Die Genrenale ist eine der vielen Alternativveranstaltungen die sich im Dunstkreis des großen Festivals tummeln. Wir drehen ein sehr amüsantes Interview mit den aufgeweckten Veranstaltern.
Auf dem Rückweg überfallt mich ein N24-Redaktionsteam und möchte dass ich „Happy-Birthday“ für den BH singe. Der wird angeblich 100 Jahre alt. Als ich mich weigere zu singen, will die blonde Redakteurin, dass ich dem BH ein Grußwort sage. Ich erwidere: „Ich glaube nicht, dass so ein Ding aus Spitze und Watte mich versteht. Das spricht ne ganz andere Sprache.“, woraufhin mich die Redakteurin anschaut, als spräche ich eine ganz andere Sprache.
Im Apartment müssen wir schnell packen. Der Zug wartet nicht. Das bodenlange lila Kleid fliegt in den Koffer. Ich sehe es kurz an, der Wehmut hält sich in Grenzen. Dann eben nächstes Jahr.