Die Miete zahlen

Posted by on 30. Juni 2014 in Gewesen | No Comments

Neulich beim Supertalent:

Vor dem Cinemaxx in Offenbach Ludwigstraße, Ecke Frankfurterstraße ist eine kleine Schlange. Ich beäuge das Ganze kritisch. Stativ geschultert und von der Redaktion mit dem Auftrag versehen: Filme uns ein paar lustige Leute.
Von irgendwas muss man ja die Miete zahlen.
Der erste Kandidat Kategorie „lustiger Typ“ schlurft auch schon um die Ecke. Anfang Zwanzig und im Piratenkostüm. Im Interview spricht er von seinem positiven Gesamtpaket und seinem modernen Look. Na ja, Geschmäcker sind verschieden.
Als das Interview vorbei ist kommt eine kleine Frau mit imposanten Locken auf mich zu. Sie trägt ein rotes Shirt. „Crew“ steht drauf.
„Sie dürfen hier unter keinen Umständen filmen!“, zwitschert sie. „Das ist Hausrecht, Schätzchen.“ Von kleinen Frauen Schätzchen genannt zu werden ist vergleichsweise irritierend und deswegen klingele ich meinen Redakteur aus dem Bett.
„Das ist Hausrecht!“, sagt der. „Die kann dir gar nichts, wenn du VOR dem Haus filmst.“
Ich gebe das weiter und der Lockenkopf beginnt mit einem Vortrag über Exklusivrechte: „Die liegen ALLE bei RTL.“ Ihre Stimme wird höher. „Und das weißt du!“
Ah, plötzlich sind wir also bei du.
„Im öffentlichen Raum darf ich filmen, wen ich will, solange er damit einverstanden ist. Und ich glaube das weißt DU.“, fügte ich hinzu. Sie zieht die Luft mit einem empörten Laut schnell ein. „Ich werde mich erkundigen, wie genau das mit dem Hausrecht ist.“
Erkundigen ist immer gut, denke ich, sage aber nichts. Eine Gruppe Menschen verlässt das Kino. Auf ihrer Brust ein Stück Klebeband, mit der typischen Nummer. Casting Kandidaten. Eine Frau singt für mich und meine Kamera. Musik ist auch immer gut.
Jetzt kommt ein kleiner blonder Mann auf mich zu. Dicht hinter ihm geht ein weiteres Crew-Mitglied im roten T-Shirt, groß, bestimmt an die zwei Meter und breit. Türsteher-Typ. Über sein Gesicht vom Haaransatz über das Auge zum Mund läuft eine tiefe Narbe, als hätte jemand versucht dem großen Mann das Gesicht vom Schädel zu ziehen. Das Ganze wird von groben Stichen zusammengehalten, wie in einem Hinterhof selbst vernäht.
Ich atme tief durch. Immer mit der Ruhe. Öffentlicher Platz, jede Menge Leute hier. Der Türsteher und der kleine Blonde bleiben dicht vor mir stehen.
„Guten Tag.“, sagt der Türsteher leise. „Ich bin von der Produktion.“ Prompt plustert sich der kleine Blonde neben ihm auf: „Und ich bin vom Kino. Sie dürfen hier nicht filmen.“, plappert er los. „Das ist Hausrecht.“ Gut, also wieder die Sache mit dem Hausrecht.
„Und bis wohin geht das Grundstück des Kinos genau?“, frage ich.
„Ähm…“, macht der Blonde.
„Die S-Bahn Station und der Fahrradweg gehören ja wohl nicht dazu?“
„Ähm…“, macht der Blonde.
„Wir müssen sie trotzdem bitten nicht zu filmen.“, meldet sich jetzt der Türsteher. „Bitte denken sie an die Konsequenzen.“
Wenn so ein Kerl von Konsequenzen spricht, kriegt man ein mulmiges Gefühl im Bauch. War vermutlich ein wichtiges Einstellungskriterium. Der weiß genau wie er wirkt und nur aus Trotz lächle ich freundlich.
„Wir müssen darauf bestehen, dass sie jetzt gehen!“, fügt er hinzu, nun seinerseits mit einem Lächeln, kein sehr freundliches. Ich lächle tapfer zurück.
„Wir werden rechtlich gegen Sie vorgehen müssen, wenn Sie das veröffentlichen.“, fährt er fort.
„Ich veröffentliche es ja nicht.“, sage ich. „Das ist die Sache der Redaktion. Ich bin nur freie Mitarbeiterin. Ich soll hier nur filmen.“
„Sie dürfen hier nicht filmen.“ quengelt der Blonde. Aber der Druck ist raus.
„Dann gehe ich jetzt auf den Fahrradweg und filme von da, ok? Der gehört ja nicht zum Kino.“. Das ist eher Feststellung, als eine Frage. Der Blonde schaut zum Türstehertyp, der zuckt die Schultern. Ich verabschiede mich freundlich, schultere mein Stativ und lasse die Beiden da stehen.
Kaum habe ich auf dem Radweg aufgebaut, werden plötzlich alle Casting-Teilnehmer hinein geholt. Sie stehen nun im Eingangsbereich des Kinos. Ich kann sie durch die großen Glasscheiben sehen. Filmen kann ich sie aber nicht. Das würde gegen besagtes Hausrecht verstoßen.
Also warte ich, aber irgendwie kommen keine Casting-Teilnehmer mehr aus dem Kino. Ein paar Jungs machen vor dem Eingang Raucherpause.
„Was ist denn los?“, frage ich sie.
„Keine Ahnung.“, sagt der eine und spuckt auf den Boden. „Geht nich weiter.“
Haben sie wegen mir das Casting unterbrochen?
Ich interviewe ein Mädchen, das extra wegen Bruce Darnell hergekommen ist. Aber es darf niemand in den Casting Raum, außer der Bewerber. Das Mädchen ist schwer enttäuscht, weil doch Bruce im Werbespot gesagt hat, er freut sich auf alle Bewerber und Zuschauer.
Ha, nimm das RTL!
Die Frau mit dem Lockenkopf lugt durch die Fenster und tuschelt mit anderen Leuten in roten Crew T-Shirts. Ich seufze und schultere mein Stativ. Was ein Blödsinn, aber es zahlt die Miete und zwar nicht nur meine.

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