Luft nach oben

Posted by on 15. Oktober 2013 in Gewesen | No Comments

8:30h. Der verschlafene Blick aus dem Fenster: Kassel ist weg. Dichter Nebel hat die Stadt gefressen. Ich glaube nicht an schlechte Zeichen und trinke zur Sicherheit trotzdem einen Kaffee mehr.
Heute präsentiere ich auf dem Hessischen Hochschulfilmtag Idee und Konzept für URANOPHOBIE, meinen Abschlussfilm. Uranophobie ist zunächst eine real existierende psychische Krankheit. Der Betroffene hat Angst vor dem Himmel, Angst vom Himmel aufgesaugt zu werden.

Titelbild zum Kurzfilm Uranophobie, die Angst vor dem Himmel. 2014, ein Film von Alicia-Eva Rost

Im Fall meines Films ist Uranophobie als Metapher zu verstehen. Es ist die Geschichte über drei unterschiedliche Freunde: Mark, der sich nie für etwas begeistern kann, Toni, die sich von allem mitreißen lässt und Flo, der alles aus Prinzip ablehnt. Finanziell abgesichert durch die Eltern oder Papa Staat dümpeln sie von einem Semester zum nächsten. Unfähig sich für etwas zu entscheiden. Uranophobie ist Angst vor dem Himmel an Möglichkeiten.
Der Himmel über Kassel ist hellgrau und undurchsichtig. Endlich finden wir das Bali-Kino, wo im Rahmen des doc-Filmfestivals auch der Hessische Hochschulfilmtag stattfindet. Von drinnen sieht man den Kassler Himmelsstürmer, der beherzt in Richtung der trüben Suppe schreitet.

Studenten aus dem ganzen Bundesland sind hier. Man trifft alte Freunde und Bekannte. Es gibt Lebkuchen. Ich trinke noch einen Kaffee. Kurz vor 12, kurz vor meiner Präsentation, klart es etwas auf. Na dann.
Ich schaue, wie immer, in ungläubige Gesichter, wenn ich vom Sujet des Filmes erzähle. Davon, wie zu viel Freiheit einengen kann, dass man blind sein kann vor lauter Freiheit. Ich erzähle, wie schwer es den Personen meines Filmes fällt, sich zu definieren, ohne Punkte an denen sie anecken. Verloren in einer liberalen Gesellschaft.
Ein etwas zögerlicher, weil irritierter Applaus. Ich sagte artig: „Danke!“, und setze mich wieder. Beim Mittagessen stecken mir zwei, drei Leute ihre Karten zu. „Das ist ja interessant.“, sagt eine. „Da habe ich noch nie drüber nachgedacht.“ , sagt ein anderer. „Wir sollten uns auf einen Kaffee treffen.“, meint ein Dritter.

Am Nachmittag werden fertige Filme gezeigt. Animationen, bei denen die Grenzen zwischen Realität und Imagination gekonnt verschwimmen (The Augmented). Sexszenen wechseln sich ab mit der hinreißenden Geschichte eines kleinen Jungen, der Abschied von seinem Vater nimmt (Tschüss Papa). Als ich zwischen zwei Filmen schnell zur Toilette husche, ist da plötzlich ein Team des Hessischen Rundfunks.
„Könnten Sie uns einen O-Ton zur Veranstaltung geben?“, fragt der motivierte Redakteur mit 3-Tage Bart. „Für Maintower.“

Alicia-Eva Rost im Interview mit dem Hessichen Rundfunk beim Hessichen Hochschulfilmtag 2013 in KasselThema sind die Animationen der Kassler Kollegen. Die sind total analog unterwegs. Während wir nur Pixel manipulieren, wird an der Kunsthochschule Kassel Papier geschnitten und Knete geformt. 25 Bilder pro Sekunde hat ein Film im Durchschnitt. 25 Bilder, die alle einzeln geschnitten, geknetet und komponiert werden müssen. Jedes einzelne Bild von „Im Rahmen“ ist also im Grunde genommen eine eigenständige Skulptur. 2 Jahre hat die Filmemacherin dafür gearbeitet. Alles für das Projekt.

Als der Redakteur mir dann sein blaues Mikrofon unter die Nase hält, wird mir klar, dass mir genau das auch bevor steht. Ab morgen startet die Produktion. Ab morgen ist alles nur für das Projekt.

Abends gibt es Kartoffelsuppe und Wein in einer nahegelegenen Galerie. Der Nebel hat sich verzogen. Eine klare, kalte Nacht. Kassler und Darmstädter Studenten prosten sich zu. Die Regisseurin von Scherbenspiel, einer Familiengeschichte zur NS-Zeit, seufzt. „Viele gute Filme.“, sagt  sie etwas wehmütig und lässt den Blick durch den Raum wandern. „Tja, es ist immer Luft nach oben.“

 

 

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